Ein Mal. Und noch ein Mal. Und noch ein Mal.

Pic by @rad.timez

Pic by @rad.timez

TW: Sexuelle Belästigung

Manchmal, wenn ich zu Hause auf dem Sofa sitze und sonst nichts weiter von Bedeutung mache, da kommen sie. Ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung. Erinnerungen an Momente, in denen Grenzen ungefragt überschritten wurden. 

Ein Mal, das erste Mal, als ich 16 war und im Zug saß. Zwei erwachsene, deutlich ältere Männer setzten sich zu mir. Viel zu dicht. Als ich an meiner Station aufstand, erhob sich einer von ihnen ebenfalls. Die Tür öffnete sich. In exakt diesem Moment grapschte er an den Hintern. Obwohl ich ihn anschrie: “Lass das!” und davonlief, verfolgte er mich. Die Treppen hinunter bis in die Bahnhofshalle. An einem belebten Bahnhof im Ruhrgebiet. Am Samstagabend. Ohne, dass jemand einschritt. Auch nicht der Mitarbeiter der Deutschen Bahn, der die gesamte Szene beobachtete.

Ein Mal, als ich morgens mit der U-Bahn nach Hause fuhr. Draußen war es schon hell. Einige Fahrgäst*innen fuhren zur Arbeit. Ein gewöhnlicher Freitagmorgen in Berlin. Ein Mann sprach mich in der Bahn an. Ich reagierte nicht, also lief er hinter mir her, mit einigem Abstand, aber doch beständig - bis zu meiner Haustür. Ich drückte die Tür hinter mir ins Schloss, lief durch das dunkle Treppenhaus nach oben und machte auch in der Wohnung kein Licht. Damit er nicht noch genauer weiß, wo ich wohnte.

Ein Mal, als abends im Dunkeln nach Hause lief. Er trat nah an mich heran. “Entschuldigung, darf ich Sie was fragen?” - “Klar.” - “Sex?” -“Nein! Bist du bescheuert?” Nach diesem kurzen Wortwechsel lief er weiter hinter mir her. Ich rief meine Mitbewohnerin an, weil ich mich unwohl fühlte. Ich erzählte ihr von der Situation. Plötzlich fühlte ich, wie er mir noch näher kam und mir von hinten zwischen die Beine fasste. Als ich mich umdrehte rannte er weg und verschwand in einem Hauseingang. 

Ein Mal, als ein “Bekannter” in einem Club mich gegen meinen Willen hochhob und herumwirbelte. Als er auch dann nicht von mir abließ, als ich immer wieder laut: “Lass mich sofort runter!” brüllte, ihm auf die Oberarme schlug und versuchte, ihn zu treten. Man kannte ihn in dem Club, er war Stammgast. Wie ich. Als ich mich über ihn beschwerte, waren die Reaktionen: “Der meint das nicht so.” oder: “Ach, das macht er doch immer, wenn er betrunken ist. Das hat nichts zu bedeuten.”

Ein Mal, als ich abends mit dem Rad nach Hause fuhr und ein Mann mich an der Ampel auf dem Fahrrad ansprach. Ich sagte: “Lass mich in Ruhe.” Daraufhin folgte er mir nach Hause und versuchte, in meinen Hauseingang zu gelangen. Ich konnte ihm lediglich die Tür vor der Nase zuschlagen und ihn damit aussperren, da er so betrunken war, dass er nicht im Stande war, mit Haustür und Fahrrad gleichzeitig zu hantieren.

Ich fühle noch heute die Angst.

Die Angst, als ich am Bahnhof meinem damaligen Freund in die Arme lief - was wäre ohne ihn passiert?

Die Angst am nächsten Morgen - würde er wohl noch immer vor der Haustür warten?

Die Angst in den nächsten Tagen - könnte ich ihm wieder begegnen? Sollte ich ab jetzt einen anderen Weg laufen?

Die Angst vor den Reaktionen, als ich den Zwischenfall öffentlich machte - würde man mir glauben? Könnte die Situation sich wiederholen?

Die Angst vor Fahrten im Sommer - bin ich nicht mal auf dem Rad sicher, das ich aus Angst vor unangenehmen Situationen und Übergriffen den öffentlichen Verkehrsmitteln vorziehe?

Previous
Previous

Wie eine Schaufensterpuppe mein Selbstbild zerstörte.

Next
Next

You should smile more.