Hilfe, mein Nachbar ist ein Club!
Das Foto zeigt nicht den Club Ritter Butzke. Pic by moi.
Die Berliner Clublandschaft hat ihren ganz eigenen Charme. Das macht sie unter anderem so beliebt bei ihren Einwohner*innen – ob nun zugezogen aus Stuttgart oder born and raised in Hellersdorf – und auch bei den Tourist*innen, die scharenweise aus dem In- und Ausland anreisen, um ein Mal in der Schlange vom berühmten Berghain zu stehen.
Dieser Charme zeichnet sich zum Beispiel dadurch aus, dass viele Berliner Clubs inmitten ganz „normaler“ Wohngebiete liegen. Doch was für die Einen den Reiz des Besonderen ausmacht, hat für die Anderen ein ganz anderes Reizpotential. Nicht jeder Berlinerin empfindet wummernde Bässe, zerschellende Glasflaschen und grölende Clubgänger*innen als eine Bereicherung für den eigenen Kiez. „Dann darfste eben nicht in ein Szeneviertel ziehen!“ ist eine häufige Reaktion. Was aber, wenn der betroffene Anwohner*innen schon viel länger in dem jeweiligen Kiez wohnt als die Szene? Wegziehen? Das Gespräch suchen? Sich dem Schicksal fügen. „Et jibt sone und solche Fälle“. Einige, bei denen sich die Beschwerden der Anwohner*innen solange häufen bis der Club kapituliert und dicht macht, wie zum Beispiel beim Knaack, seinerzeit einer der ältesten Clubs Berlins, oder dem Klub der Republik. Andere bei denen unzählige Nachbar*innen den Lärm mal mehr mal weniger geduldig hinnehmen. Dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt, haben wir anhand des Beispiels Ritter Butzke in Kreuzberg festgestellt. Wir haben uns sowohl mit Sebastian Riedel – Geschäftsführer des beliebten Kreuzberger Clubs – als auch mit einem Anwohner der Ritterstraße getroffen, um beide Seiten eines solchen Konflikts zu beleuchten.
Der Ritter Butzke befindet sich auf dem Gelände der sogenannten Butzke-Werke. Das gesamte Gebäude ist denkmalgeschützt und das letzte übrig gebliebene Gebäude des ehemaligen Rollkutscherviertels. Offiziell existiert der Club seit Oktober 2009.
Herr R., Anwohner der Ritterstraße:
R. wohnt seit mittlerweile knapp 37 Jahren in der Ritterstraße. Früher – während seines Studiums – habe R. sogar selber in den Butzke-Werken gearbeitet. Als er in seine jetzige Wohnung einzog, stand also die Mauer noch und überhaupt sah alles ziemlich anders aus als heute. „Es war eine Gegend mit fast ausschließlich deutschen Bewohnern. Heute fühlt man sich hier fremd. Außerdem ist die Gegend natürlich verwahrlost.“ Müll, Dreck und diese „unsäglichen Altkleidercontainer“ hätten sich angesammelt. Positiv vermerkt R., dass es grüner geworden sei. Es gebe mehr Bäume als früher. Zudem seien im Laufe der Jahre viele Wohnhäuser entstanden. Das sei die erste Veränderung gewesen, die bis heute anhält. Die zweite Veränderung bezeichnet er als „Tornados junger Leute“, die mit der Cluberöffnung des Ritter Butzke einherging. Insbesondere in den U-Bahnen, wie zum Beispiel der U1, sei das seit ein paar Jahren zu bemerken: „meistens schwarz gekleidet, nett und laut, mit Flaschen in der Hand, an denen sie sich wahrscheinlich festhalten müssen, weil es nicht genug Stangen gibt.“ Zu Beginn der Eröffnung des Ritter Butzke sei es schlimm gewesen, berichtet R. Doch dann sei er mit dem Besitzer ins Gespräch gekommen. Seitdem habe sich die Situation sehr gebessert. Dadurch würde zumindest der Lärm gegenwärtig kein Problem darstellen. Derzeit bestünde das Problem vielmehr in dem Verkehr, den der Club anzieht, in der Verschmutzung und in den neuen Anwohnern.
R. beruft sich vor allem auf das sogenannte Allgemeine Vertragsrecht beziehungsweise auf die Vertragsfreiheit, welche er so beschreibt: „Zwei Parteien dürfen keinen Vertrag zu Lasten Dritter abschließen.“ Diese Freiheit sieht er in Fällen wie der Eröffnung des Ritter Butzke verletzt. Damit ist in seinen Augen das „Gerede um Toleranz fehl am Platz. Zumal die Leute, die von Toleranz reden, ja immer die Toleranz der anderen meinen, nicht die eigene“. Darum findet er es auch völlig gerechtfertigt, dass die Klage eines Einzelnen reicht, um für die Schließung eines Clubs zu sorgen: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. R. vertritt die Auffassung, dass generell in und an Wohngebieten keine Clubs genehmigt werden sollten, da die Anwohner bereits genug unter dem ohnehin vorhandenen, vermeidbarem Großstadtlärm litten. Ein Vorab-Gespräch zur Club-Gründung hält R. nur dann für sinnvoll, wenn die Anwohner auch am Entscheidungsprozess beteiligt würden. Das heißt, sobald ein Anwohner gegen eine Eröffnung des Clubs sei, dürfe diese auch nicht stattfinden: „Ich glaube nicht, dass der Ritter Butzke so entstanden wäre.“ Dass andere Anwohner die Situation mit dem Ritter Butzke ähnlich problematisch sehen, weiß R. aus einigen Gesprächen mit Nachbarn.
Diese seien aber „erstaunlich passiv“. Die wenigen, die Beschwerden hätten, kämen zu ihm, statt sich an offizieller Stelle zu beklagen. „Die meisten haben wohl ohnehin schlechte Ohren. Der Lärm fängt meist nachts um zwölf an. Da schlafen die schon und bekommen es eh nicht mit.“ Er geht dennoch davon aus, dass sich viele Leute gestört fühlen, aber aus einem Gefühl von Machtlosigkeit heraus nichts sagen. Anonyme Anzeigen findet R. nachvollziehbar. Er geht davon aus, dass sich nicht jeder so „rhetorisch oder intellektuell standsicher sei, dass er das Gespräch mit dem Betreiber sucht.“ Die Verantwortlichen beim Ritter Butzke seien sehr gesprächsbereit und bemüht. Auf R.s erste Beschwerde wurde von Seiten des Clubs sofort konstruktiv reagiert, sagt er, und zwar in Form von verschiedenen Lärmschutzmaßnahmen. Seitdem hat R. einen festen Ansprechpartner im Ritter Butzke, der reagiere, wenn es doch nochmal zu Störungen käme. Seinen Ansprechpartner kennt er auch persönlich. Acht bis zehn Mal wäre es zu einem Gespräch gekommen. R. merkt an, es gelegentlich auch Lärm von andere Ställe gebe. Derzeit habe er keine Probleme, sagt er. Im Sommer könne es aber wieder vermehrt dazu kommen, da etwa der Lärmpegel ansteige, sobald er die Fenster seines Schlafzimmers öffne. Da müsse sich aber auch der Club etwas überlegen. Er sei nicht bereit „so etwas zu ertragen“.
Das größte Problem ist in R.s Augen momentan nicht Lärm, der vom Club selber ausginge, sondern der, der von den Gästen verursacht werde: „Die Menschen, die vor dem Club johlen, lachen und Flaschen zerschmettern“. Das nächtliche Glasklirren könne zum Geräusch dieser Gegend „avancieren“.
Sebastian Riedel, Geschäftsführer des Ritter Butzke
Die ursprüngliche Idee des Ritter Butzkes war laut Riedel kein fester Club, sondern ein Ort, in dem „einfach ein paar Partys“ veranstaltet werden können: „Unter der Hand, ohne Werbung und immer sehr kurzfristig“. Die offizielle Eröffnung des Clubs Ritter Butzke folgte dann im Oktober 2010. Die Wahl des Ritterkiezes war eher zufällig, so Riedel: „Party-Macher in Berlin, die keinen festen Veranstaltungsort haben, suchen gerne Off-Locations. Der heutige Ritter war ein interessantes Objekt. Wir haben uns darin wohl gefühlt.“ Ein weiterer Punkt war, dass ein gutes Verhältnis zu der Verwaltung des Geländes bestand. Die etwas kritische, an ein Wohngebiet grenzende, Lage war den Gründern des Ritter Butzke von Anfang an bewusst und ist es auch heute noch: „Wir haben aber auch von Anfang an darauf geachtet, ob wir da irgendjemandem auf den Sack gehen. Dazu gehören natürlich die Anwohner“. Riedel betont allerdings, dass das Grundstück des Clubs nicht im Wohngebiet liege, sondern sich auf Gewerbegebiet befinde: „Das ist in Berlin anders geregelt als in anderen Städten.“ Gespräche mit den Anwohnern im Vorfeld gab es nicht: „Das kann man auch nicht so einfach machen. Denn wenn man eine Party macht, fängt man ja nicht an, bei allen Anwohnern zu klingeln und zu fragen, ob das ok ist.“ Er betont, dass das Empfinden, ob etwas für jemanden eine Belastung darstellt oder nicht, für jedes Individuum unterschiedlich sei. Riedel wohnt selber in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Clubs, der ihm am Wochenende „teilweise ganz schön auf die Nerven“ geht: „Ich weiß aber, dass viele in meinem Haus das gar nicht interessiert.“ Im Ritter Butzke haben sie immer wieder Kontakt mit einzelnen Anwohnern gehabt, sagt Riedel. Mit denen habe ein Austausch stattgefunden und es sei probiert worden, die Gründe für die Beschwerden so gut es geht zu beseitigen, und auf die Bedürfnisse der Anwohner Rücksicht zu nehmen: „Aber das kann man nur in einem bestimmten Rahmen machen. Ich habe auch ein Geschäft mit über 50 Festangestellten und noch mal so vielen freien Mitarbeitern. Das ist auch ein Berliner Wirtschaftsunternehmen, von dem Menschen leben. Wir denken, dass wir uns an die Spielregeln halten und versuchen dabei, auf möglichst viele Sachen Rücksicht zu nehmen.“ Dazu gehöre zum Beispiel, sagt Riedel, dass seine Mitarbeiter versuchen dafür zu sorgen, dass die Gäste des Ritter Butzke nicht auf der Straße, sondern im Hof stehen und so möglichst wenig Lärm verursachen. Zudem seien mit dem Umweltamt im Vorfeld die Parameter besprochen worden, sodass es möglich ist, die Gäste von verschiedenen Eingängen auf das Gelände zu lassen, damit sich keine Menschentrauben vor dem Eingang an der Ritterstraße bilden: „Aber natürlich sind uns bei gewissen Dingen auch die Hände gebunden.“ So könne etwa gegen Geschrei auf der Straße einfach nichts gemacht werden, da dies nicht mehr zum Verantwortungsbereich des Clubs zähle und die Inhaber darum auch kein Recht hätten, Leute auf der Straße zurechtzuweisen: „Wir gehen trotzdem öfter hin und sagen den Leuten, dass sie auf Anwohner Rücksicht nehmen sollen.“ Aber insbesondere bei alkoholisierten Clubgängern würden diese Vermittlungsansätze leider nicht immer fruchten. Außerdem gibt Riedel zu bedenken: „Wären die Leute nicht hier, wären sie woanders und würden da Krach machen und andere Anwohner stören.“ Darum ist er gegen Schuldzuweisungen und einem Denken nach dem Prinzip: „Wer war zuerst da, wer muss auf wen Rücksicht nehmen?“„Mir fällt es immer ein bisschen schwer“, sagt Riedel, „mit Menschen zu diskutieren, die sagen: ‚es war hier immer ruhig und jetzt seid ihr gekommen.‘ Wir wohnen in einer Stadt, die sehr lebendig ist. Es ist sehr schwierig in so einer Stadt zu verlangen, dass sich die Dinge nicht ändern. Natürlich gewöhnt man sich an angenehme Umstände. Aber niemand kann garantieren, dass die auch die nächsten 100 Jahre genauso bleiben.“ An vorhandene Lärmschutzverordnungen halte sich der Club. Riedel gibt auch zu bedenken, dass der „Spirit des Ladens“ nicht durch zu viele Änderungen zerstört werden dürfe. Außerdem sagt er, dass viele Menschen einen Denkfehler an den Tag legten, nämlich, dass sie das „Recht auf totale Stille“ hätten. Was so nicht stimme: „Das Berliner Immissionsschutzgesetz besagt, dass nicht mehr als ein bestimmter Lärmpegel bei den Anwohnern ankommen darf. Hören können die das aber trotzdem.“ Er glaubt, dass das „Leuten, die mit einer solchen Musik nichts anfangen können, natürlich auf die Eier geht“. Riedel plädiert für mehr Toleranz: „Die, die sich jetzt beschweren, waren auch mal jung und sind auch mal ausgegangen. Soll man den Kids jetzt das Spaßhaben verbieten?“
Seit Bestehen des Ritter Butzke, schätzt Riedel, dass etwa fünf bis zehn Mal die Polizei auf Grund von Beschwerden nachts vor der Tür gestanden hätte. Auch da sei oft nicht sein Club die letztendliche Ursache des Lärms gewesen. Große Probleme habe es nie gegeben. Allerdings habe er ab und zu schon diskutieren müssen: „Im Sommer hatten wir eine Beschwerde einer Nachbarin. Es stellte sich heraus, dass gar nicht wir Schuld an der lauten Musik waren, sondern andere Nachbarn, die mit lauter Musik ihre neue Dachterrasse eingeweiht haben. Trotzdem kam später die Polizei zu uns. Es war gar nicht so einfach, denen begreiflich zu machen, dass wir nicht das Problem waren.“ Auch mit der Polizei habe man bereits Gespräche geführt. Der Verantwortliche des Bezirks wisse Bescheid, „mit dem kann man gut reden“. Aber der habe natürlich selber nur bedingt Einfluss darauf, dass Polizist X, der nachts zu einem Einsatz gerufen wird, auch hinreichend informiert ist. Riedel ist durchaus bewusst, dass die Klage eines Einzelnen reicht, um den Club zu gefährden: „Das war von Anfang an eine unserer größten Sorgen.“
Neben dem Lärm sieht Riedel auch den Müll auf der Straße als ein Problem an. Deshalb schickt er seine Reinigungskräfte auch auf die Straße, um dort den Müll zu entfernen, auch wenn er davon ausgeht, dass der Müll bei weitem nicht nur von Besuchern des Ritter Butzke herrührt: „Anscheinend sind wir nur am Angreifbarsten in der Hinsicht“.